4 Stufen des Katatrainings

Die vier Stufen des Kata-Trainings

Praktisch alle Karateka trainieren Kata, die meisten jedoch nur die erste Stufe, weswegen sie kein rundes, vollständiges Verständnis von dem entwickeln, was Kata uns geben kann. In diesem Artikel wird über alle vier Stufen des Kata-Trainings gesprochen. Die erste Stufe ist das Üben der Form an sich und das, woran die meisten Leute denken, wenn sie vom Üben der Kata sprechen. Das erste, was ein Karateka lernt, ist der physische Ablauf der Kata, die Bewegungsabläufe, die notwendig sind für maximale Effektivität, die richtige mentale Einstellung etc. Dies ist eine sehr wichtige Stufe des Praktizierens von Kata. Wenn man nicht in der Lage ist, die Bewegungen der Form ohne Gegner effektiv auszuführen, dann wird man absolut keine Chance haben, dieselben Techniken funktionierend anzuwenden, wenn ein aggressiver Gegner versucht, einem physischen Schaden zuzufügen.


Die erste Stufe, die Form, ist oftmals das, womit das Üben von Kata in vielen modernen Dojos beginnt und endet. Einer der Hauptgründe dafür ist, dass die Kriterien für die Beurteilung der Qualität einer Kata häufig nur in der optischen Erscheinung liegen. Wenn die Kata gut aussieht, dann ist sie gut! Das ist offensichtlich eine fehlerhafte Sicht von Kata, wenn man bedenkt, dass Kata einen funktionellen und praktischen Zweck haben soll. Meiner Meinung nach ist es besser, eine Kata nach ihrer praktischen Anwendung zu beurteilen. Wenn der Karateka die Techniken der Kata erfolgreich anwenden kann, dann ist seine Kata gut, ungeachtet ihres Aussehens. Bitte verstehe mich nicht falsch, ich sage nicht, dass eine schlechte Form akzeptabel ist, sondern dass das Ziel immer die Funktion als das Aussehen sein sollte. Eine funktionelle Kata wird oftmals dem Auge missfallen, aber die Ästhetik der Kata ist tatsächlich eher ein irrelevantes Nebenprodukt als der ganze Zweck des Kata-Trainings.


Gichin Funakoshi (der Gründer des Shotokan Karate) stellt in seinem Buch „Karate – Do Kyohan“ fest: „Wenn eine Form gelernt worden ist, muss sie immer wiederkehrend geübt werden, bis sie im Notfall angewendet werden kann, nur das Kennen des Ablaufes einer Form im Karate ist nutzlos.“ Auch wenn die Form einer Kata sehr wichtig ist, sollte sie nicht als das gesamte (einzige) Katatraining betrachtet werden. Wie Funakoshi selbst sagte, ist, bis man die Techniken einer Kata in einem Notfall tatsächlich anwenden kann, das schlichte Kennen der Ausführung des Ablaufes der Form nutzlos. Wir müssen dafür Sorge tragen, unser Training auf die nachfolgenden Stufen voranzutreiben.

Die zweite Stufe des Kata-Trainings ist das Studium der funktionellen Anwendung der Bewegungen einer Kata (Bunkai). Man muss die Anwendung der Techniken mit einem Partner in der Praxis üben. An diesem Punkt ist es möglicherweise wichtig, auf den großen Unterschied zwischen realistischem Bunkai und den gebräuchlicheren, choreografierten Kämpfen zwischen Karateka auf lange Distanz, die man so oft sieht, hinzuweisen. Die Kata wurden nicht entwickelt, um mit anderen Karateka zu kämpfen, sie waren als Aufzeichnung von realistischen Techniken zum Einsatz in einer zivilen Umgebung gedacht (Selbstverteidigung). In realen Gefahrensituationen nehmen Menschen keinen Stand ein, aus dem sie einen Oi-Zuki über eine Distanz von 3 m ausführen! Wenn wir annehmen, dass Kata für die Anwendung in Selbstverteidigungssituationen entwickelt wurden, müssen wir auch annehmen, dass es in echten Selbstverteidigungssituationen sehr unwahrscheinlich ist, dass wir auf einen anderen Karateka treffen werden, speziell einen, der seine Techniken in so gestellter und formaler Art ausführt (man kann von Glück reden, wenn das jemals passiert!). Die Anwendungen der Kata sollten einfach sein, für kurze Distanz bestimmt und nicht davon abhängen, dass ein Angreifer bestimmte Aktionen in einer bestimmten Art und Weise ausführt.

Wenn man ein Verständnis für die praktischen Anwendungen der Techniken einer Kata entwickelt hat, sollte man beginnen, Variationen der Techniken in das eigene Training einzubinden. Man sollte sich immer daran erinnern, dass eine Kata die Aufzeichnung eines vollständigen, für sich stehenden Kampfsystems ist. Allerdings wäre es nicht praktikabel, jeden einzelnen Aspekt eines jeden Systems aufzuzeichnen, sonst würde die jeweilige Kata lächerlich lang werden. Es ist viel besser, die Techniken aufzuzeichnen, welche kurz und bündig die Schlüsselprinzipien des Systems darstellen.

Das Gleichnis, welches ich gerne benutze, um zu erklären, wie eine Form ein komplettes System aufzeichnet, ist das der Eichel und der Eiche. Die Eiche ist gewaltig, ebenso in ihrer Größe wie in den Jahren ihres Lebens, aber alles von dem Baum, alles was nötig ist, um ihn zu reproduzieren, findet man in einer einzelnen Eichel. Ein Kampfsystem produziert eine Kata auf die gleiche Weise wie eine Eiche Eicheln. Beide, die Eichel und die Kata, sind nicht so groß wie die Dinge, die sie hervorgebracht haben, aber sie sind perfekte Aufzeichnungen davon. Die Eichel muss, damit eine Eiche aus ihr wird, richtig gepflanzt und genährt werden. Eine Kata muss, um ein Kampfsystem zu werden, genau studiert und trainiert werden. Das ist genau das, worin wir einen der größten Fehler des modernen Karate finden, darin, dass Kata selten ausreichend studiert werden. Um zu meinem Gleichnis zurückzukehren: Wir haben die Saat, aber wir pflanzen sie nicht!

Hironori Otsuka (der Begründer des Wado-Ryu Karate) schrieb einst: „Es ist offensichtlich, dass die Kata ausreichend trainiert und geübt werden müssen, aber man sollte nicht an ihnen „hängenbleiben“. Man muss Abstand von der Kata nehmen, um weitere, grenzenlose Formen zu entwickeln oder sie wird nutzlos. Es ist wichtig, die trainierten Kata zu verändern ohne zu zögern, um endlos viele andere Formen für das Training zu entwickeln. Tatsächlich ist es eine Gewohnheit, entwickelt über die lange Zeit des Trainings. Weil es eine Gewohnheit ist, erwacht sie ohne Zögern zum Leben – aus dem Unterbewusstsein.“ (Wado – Ryu Karate Seite 19 – 20). Ich glaube, dass Otsuka uns sagt, dass wir uns darin üben sollen, die Anwendungen der Kata abzuwandeln, andernfalls riskieren wir, in der Form „hängen zu bleiben“ und werden dadurch limitierte Kämpfer. Wir müssen Otsukas Rat folgen und trainieren, so dass die Form ohne zögern eingesetzt werden kann, in jeder Situation in die wir geraten könnten.

Kata stellen gute Beispiele der Kernprinzipien des jeweils aufgezeichneten Kampfsystems dar. Kata zeigen nicht jede einzelne Technik, Kombination oder Variante des kompletten Systems! Wie sollten Sie auch? Um also das meiste aus der Kata herauszubekommen, müssen wir uns darin üben die Techniken der Kata zu variieren, während wir den Prinzipien treu bleiben, die die Techniken repräsentieren. Das ist die dritte Stufe des Katatrainings.


Die vierte und am meisten vernachlässigte Stufe ist das Üben, die Techniken, Variationen und Prinzipien der Kata in der Praxis anzuwenden. Der einzige Weg sicherzustellen, dass man in der Lage ist, Techniken in realen Situationen anzuwenden, ist, die Techniken in wirklichkeitsnahen Situationen zu üben. Man muss sich mit richtigem Sparring aus unterschiedlichsten Distanzen beschäftigen, wenn man will, dass sich das Katatraining lohnt. Egal wie viel Formenpraxis oder Technikdrills man mit einem kooperativen Partner ausführt, es wird einem niemals die Fähigkeiten geben, die man braucht, wenn das Erlernte in einer realen Situation angewendet werden soll.

In jüngerer Zeit sehen wir mehr und mehr, dass Karateka damit anfangen, das Üben von Bunkai in ihr Training zu integrieren. Während dies Anerkennung verdient, ist es doch von geringem Nutzen, solange wir nicht einen Schritt weitergehen und mit katabasiertem Sparring beginnen.

Sparring und Einzelvorführung einer Kata mögen radikal unterschiedlich aussehen, sie sind aber eigentlich exakt das Gleiche. Als eine Analogie kann man sich eine Kata als einen Block Eis vorstellen. Die Form des Eisblockes bleibt immer gleich. Setzt man den Eisblock jedoch Hitze aus, wird sich das Eis in Wasser verwandeln und seine Form wird sich den Umständen anpassen. Genauso ist eine Kata immer gleich, doch in der Hitze des Kampfes wird sie sich ebenso an die Umstände anpassen. Der Eisblock und das frei fließende Wasser sehen zwar sehr unterschiedlich aus, sind aber doch das Gleiche (die gleichen Moleküle Wasserstoff und Sauerstoff). In der gleichen Weise sieht eine Form oftmals anders aus als ihre Techniken, die in einem sich ständig verändernden, realen Kampf angewendet werden, aber sie sind doch im Wesentlichen gleich (die gleichen Kampfprinzipien). Ebenso mögen die vier Stufen des Übens von Kata unterschiedlich aussehen, es ist entscheidend, dass man versteht, dass sie alle identisch in ihrem Kern sind. Alle vier Stufen sind Kata, nicht nur die Vorführung der Form bzw. des Ablaufs der Kata.


Diese vier Stufen sind auf keinen Fall einzigartig im Karate. Im Boxen, als Beispiel, wird einem Trainierenden zuerst die Mechanik der grundlegenden Schläge beigebracht (Stufe 1). Dann übt man das Anwenden der Schläge gegen Sandsäcke, Zielpratzen oder geschützte, kooperative Partner (Stufe 2). Wenn die notwendigen Fähigkeiten erworben wurden, wird der Trainierende anfangen, Kombinationen zu üben, die Schläge zu verbinden etc. (Stufe 3). Zuletzt wird er in den Ring steigen und es unter realen Bedingungen üben (Stufe 4).


Während ein Übender auf Stufe 1 beginnen wird und fortschreitet bis zu Stufe 4, sollte er immer daran denken, dass die vorangegangenen Stufen nicht aufgegeben werden dürfen, sondern weiterhin trainiert werden müssen. Stufe 4 ist unbestreitbar die realistischste, trotz allem sollte man nicht die anderen 3 Stufen vernachlässigen, wenn man die Fähigkeiten erworben hat mit katabasiertem Sparring zu beginnen. Das Üben der Form ermöglicht es einem, seine Technik, Visualisierung und geistige Einstellung zu verbessern, ohne den durch einen Gegner erzeugten Druck (es ist auch eine gute Möglichkeit, an den Tagen zu trainieren, an denen die Trainingspartner nicht zum Training kommen können). Das Üben von Bunkai (Stufe 2) und seinen Variationen (Stufe 3) wird einem auch helfen, die Techniken zu verbessern. Man wird auch in dem Maße ein vielseitigerer Kämpfer, in dem das Verständnis der Grundprinzipien einer Kata durch das 3-Stufen-Training verbessert wird. Umgekehrt wird mit der zunehmenden Fähigkeit, die Techniken einer Kata anzuwenden, auch die Form verbessert, weil die Kata ausdrucksstärker und konzentrierter ausgeführt wird.


Die Kata sind wirklich Arbeiten von Genies, die dem praxisorientierten Karateka so viel geben können. Um alles zu entschlüsseln, was eine Kata zu bieten hat, muss man die Kata in ihrer Gesamtheit üben. Obwohl die Form ein sehr wichtiger Aspekt der Kata ist, repräsentiert sie nur die Anfangsstufe. Es wird erst offensichtlich, wie pragmatisch und ganzheitlich Karate sein kann, wenn man nach der Form den weiterführenden Stufen folgt.