Bunkai Jutsu

Die Grundlagen des Bunkai


1. Alle Kata-Anwendungen sind so konzipiert, dass sie die Konfrontation beenden können.

Alle Techniken in der Kata sind so konstruiert, dass sie entweder einen Angreifer völlig außer Gefecht setzen oder ihn in einer Situation oder Position lassen, in der er so verletzlich ist, dass er der Gnade des Verteidigers effektiv ausgeliefert ist. Jede Interpretation der Kata, die es deinem Gegner ermöglichen würde, weiter zu kämpfen, ist falsch. Beispiele dafür sind die Sequenzen, die oft als mehrere Blöcke ohne Nachbereitung interpretiert werden. Die Techniken, die jetzt als Blöcke bezeichnet werden, waren nie dazu bestimmt, stets als solche verwendet zu werden. Es gibt diverse Beispiele dafür, wie "Blöcke" auf einfache und effektive Weise als Schläge oder Würge- oder Hebeltechniken angewendet werden können.


2. Alle Teile einer Bewegung sind signifikant.

Die Hände werden nicht an die Hüften zurückgezogen um die folgende Technik vorzubereiten, oder um damit Kraft zu erzeugen, oder einfach passiv zu bleiben. Keine Bewegung ist ohne Zweck für den Kampf und man muss sicherstellen, dass man den Zweck aller Teile einer Kata-Bewegung versteht. Wenn die Bewegung keinen Zweck hätte, wäre sie überhaupt nicht in der Kata. Die Hände verletzen entweder den Gegner, oder sie schaffen oder bewahren einen Vorteil. Die Hände sind niemals inaktiv oder werden in einem passiven Schutz gehalten. Bei Kata geht es nicht um die Hin- und Herbewegung, die mit dem Kampfkunst-Sparring verbunden ist; es geht um den Nahkampf und deshalb sind immer beide Hände aktiv.


3. Jede Katabewegung ist für den Einsatz im Kampf konzipiert.

Es ist wichtig zu verstehen, dass alle Bewegungen innerhalb der Kata für den Einsatz in echten Kämpfen ausgelegt sind. Obwohl bestimmte Bewegungen die Kraft erhöhen oder das Gleichgewicht verbessern können, ist das nicht ihre Hauptfunktion. Ihre Hauptfunktion ist es, einen Angreifer in der zivilen Selbstverteidigung kampfunfähig zu machen. Die Strategie, Taktik und Techniken, die in einem Umfeld zum Erfolg führen, sind häufig für ein anderes Umfeld ungeeignet. Wenn du die Kata-Anwendung studierst, stelle sicher, dass du verstehst, dass alle Bewegungen für den Einsatz im Kampf konzipiert sind und dass alle körperlichen oder geistigen Vorteile sekundär sind. Die Schläge wurden  nicht entwickelt, um die Gesundheit zu verbessern: Sie wurden entwickelt, um die Gesundheit anderer zu schädigen. Ebenso können Kata deine Gesundheit verbessern, aber dafür wurden sie nicht entwickelt. Bei Kata geht es um den Kampf. Es ist auch wichtig, sich über die Art des Kampfes im Klaren zu sein, den die Kata anspricht.


4. Die Winkel, unter denen die Techniken ausgeführt werden, sind wichtig.

Du drehst dich nie um, um einem neuen Gegner gegenüber zutreten. Nur die Törichten und Unwissenden würden ihrem Angreifer nicht gegenüberstehen, bevor Schläge ausgetauscht werden. Die überwiegende Mehrheit der Kata-Techniken ist darauf ausgelegt mit einem Gegner umzugehen, der vor dir steht. Die Hauptgründe dafür, dass Kata-Techniken unter Winkeln ausgeführt werden, sind die Anweisung an den Praktizierenden, dass er sich in diesem Winkel, in Bezug auf seinen Gegner, befinden muss, damit die Techniken funktionieren; oder dass die Übertragung seines Körpergewichts durch die Bewegung in diese Richtung die Ausführung der Technik unterstützt. Da es sich bei der Kata um eine Einzelübung handelt, gibt es keine zweite Person, die den erforderlichen Winkel demonstriert. Daher muss die Kata eine vorherige Position einnehmen, um den Winkel anzuzeigen. Dies ist einer der wichtigsten Schlüssel zum Verständnis, was die Kata bei jeder Bewegung zeigen.


5. Die Haltungen sind ein wichtiger Bestandteil der Techniken.

Haltungen werden nie eingenommen, weil sie schön aussehen, oder um die Beine zu stärken, oder um das Gleichgewicht zu verbessern. Haltungen werden eingenommen, weil sie das Körpergewicht in die Technik mit einbringen oder helfen, den Gegner aus dem Gleichgewicht zu bringen. Wenn du Kata studierst, schau dir die Haltung, die Gewichtsverteilung, die daraus resultierende Verschiebung des Körpergewichts und die Art und Weise an, wie die Haltung eingenommen wurde. Es ist auch wichtig zu verstehen, dass die Endposition genau das ist: das Ende der Technik. Wenn sich der Körper in die Haltung bewegt und das Gewicht verschoben wird, wird die Technik angewendet.


6. Echte Kämpfe sind chaotische Angelegenheiten und in der Art und Weise, wie die Anwendung ausgeführt wird, wird dies widerspiegelt.

Bei der Ausführung der Solo-Kata üben wir die "ideale" Bewegung, die relativ einfach einzunehmen ist, wenn kein Gegner vor dir steht, es aber eine ganz andere Sache ist, wenn ein anderer Menschen, der darauf bedacht ist, dir Schaden zuzufügen, vor dir steht. Bei der Anwendung von Kata-Techniken sollte das Hauptaugenmerk auf der Effektivität der Bewegung liegen und nicht auf der perfekten Leistung. Was eine anmutige Bewegung ist, wenn sie in der Kata ausgeführt wird, wird um die Kanten herum rau, wenn sie in einer All-Out-Situation angewendet wird. Wenn man die wahre Funktion von Kata untersucht, darf das visuelle Erscheinungsbild einer Technik nie ein Thema sein. Die einzig gültige Maßnahme ist, ob die Technik den Gegner kampfunfähig macht oder nicht.


7. Es besteht ein Bedarf an Fähigkeiten in allen Bereichen.

Ein echter Kampf erfordert Kompetenz in allen Bereichen und mit allen kämpferischen Methoden. Die Kata enthält deshalb auch Hebeltechniken, Würfe, Würge- und Strangulationstechniken sowie Schläge. Es ist das Studium des Bunkai, das Karate zu einer ganzheitlichen und weitreichenden Kampfkunst macht. Es kann einige überraschen, dass diese Methoden innerhalb des Karate existieren, da sie heute im Allgemeinen nicht weit verbreitet sind (sie waren es aber in der Vergangenheit). Ein Verständnis des Bunkai und ein Studium der älteren Karate-Texte wird jedoch bestätigen, wie umfassend Karate sein sollte. Um das klar zustellen, Karate ist und bleibt eine perkussive Kunst. Auch die Greifaspekte sind einfache Methoden, um die Kernfähigkeiten zu unterstützen und sollten nicht mit den geschickten und ausgeklügelten Methoden des modernen Greifens verwechselt werden. Die grundlegenden Methoden der Kata sind jedoch für die Umgebung geeignet, für die sie entwickelt wurden.


8. Die Wahrscheinlichkeit eines Szenarios muss berücksichtigt werden.

Die meisten Kata-Techniken befassen sich mit wahrscheinlichen Szenarien in zivilen Auseinandersetzungen, im Gegensatz zu den Szenarien, mit denen Krieger auf einem Schlachtfeld oder Konkurrenten in einem Ring konfrontiert sind. Choki Motobu sagte einmal: "Die Techniken der Kata wurden nie für den Einsatz gegen einen professionellen Kämpfer, in einer Arena oder auf einem Schlachtfeld entwickelt. Sie waren jedoch sehr effektiv gegen jemanden, der keine Ahnung davon hat, mit welchen Methoden die Aggression bekämpft wird " ("Tales of Okinawa 's Great Masters" von Shoshin Nagamine).

In einer realen Situation ist es statistisch sehr unwahrscheinlich, dass man mit einem anderen Kampfkünstler konfrontiert wird, der die gleichen Fähigkeiten hat, wie man selber hat (und selbst wenn, ist die Umgebung anders und der Kampf wird immer noch nicht wie ein Wettkampfspiel oder Dojokampf sein). Kata Techniken sind eher gegen "Schubstechniken", Kleidergriffe, Kopfhebeltechniken, Kopfschlägen und wilden, hektischen Schlägen entwickelt worden,  als für die Verteidigung gegen "Kampfkunsttechniken", geschickte Techniken, die den Gegner zum Aufgeben zwingen, oder moderne Sportmethoden. Nicht zu vergessen ist die Tatsache, dass die meisten Kämpfe aus nächster Nähe stattfinden und daher die meisten Kata-Techniken für den Einsatz in dieser Entfernung vorgesehen sind.


9. Schläge sollten an anatomischen Schwachstellen (Vitalpunkten) angebracht werden.

Es sollte kein Zweifel daran bestehen, dass Techniken, die an den Schwachstellen des Körpers angewendet werden, eine größere Wirkung haben als Techniken, die dies nicht tun. Man sollte so genau wie möglich sein, was die Bereiche betrifft, die beim Lernen des Bunkai betroffen sind. Allerdings sollte man bedenken, dass die genaue Platzierung von Schlägen während eines All-Out-Kampfes nicht einfach ist. Einen Schwachpunkt zu treffen kann eine effektive Technik effektiver machen, aber es wird nicht dazu führen, dass eine ansonsten ineffektive Technik funktioniert. Mit Kraft zu schlagen ist der Schlüssel. Die Kata gibt uns viele Informationen über die Schwächen des menschlichen Körpers. Das Wissen um Schwachstellen ist jedoch nicht der wichtigste Schlüssel zum Verständnis der Kata.


10. Kata-Techniken basieren nicht auf vorgegebenen Reaktionen des Gegners, jedoch sollten vorhersehbare Reaktionen erkannt werden. 

Es ist durchaus üblich, fehlerhafte, moderne Anwendungen anzuschauen, die davon abhängen, ob der Gegner bestimmte Aktionen durchführt. Es sollte offensichtlich sein, dass der Gegner in einem Live-Kampf niemals in einer vorgegebenen und vereinbarten Weise reagieren wird. Dies ist einer der großen Fehler beim "bunkai", der bei Turnieren im Rahmen von Team-Kata-Events gezeigt wird. Solche Demos stellen kein echtes Bunkai dar, weil sie sich auf die Zusammenarbeit des "Gegners" verlassen. Wahres Bunkai ist nicht etwas, was man mit einem kooperativen Partner macht; es ist etwas, das man mit einem unkooperativen Gegner macht. Obwohl wir uns nicht auf die Zusammenarbeit des Gegners verlassen können, sind einige physische Reaktionen instinktiv und daher vorhersehbar. Solche instinktiven Bewegungen werden daher von den Kata oft berücksichtigt. Es ist z. B. immer sehr wahrscheinlich, dass sich der Gegner vom Schmerzen wegbewegen will. 


11. Für jede Bewegung in der Kata gibt es viele effektive Anwendungen

Meister Anko Itosu - der Schöpfer der Pinan/Heian Kata-Serie - schrieb einmal: "Es gibt viele Bewegungen im Karate. Wenn du trainierst, musst du versuchen, das Ziel der Bewegung und ihre Anwendung zu verstehen. Du musst alle möglichen Bedeutungen und Anwendungen der Bewegung berücksichtigen." Ich halte es für sehr wichtig, dass der Einzelne sein eigenes, einzigartiges Verständnis der zugrunde liegenden und unveränderlichen Kata-Prinzipien entdeckt. Auch viele Bewegungen haben mehr als eine Funktion oder einen Ausdruck. Obwohl einige Bewegungen nur einen einzigen Gebrauch haben, können andere auf vielfältige Weise verwendet werden. Wir müssen sicher sein, dass wir den Ratschlägen von Itosu Sensei folgen und alle möglichen Anwendungen erforschen. 


12. Bemühe dich die Prinzipien der Kata zu verstehen, auf denen die Techniken basieren.

Der Schlüssel liegt darin, zu verstehen, "warum" die Techniken funktionieren. Versuche, über das einfache Einprägen einzelner Techniken hinauszugehen und versuche die Kampfprinzipien, auf denen die Kata basieren, vollständig zu verstehen. Prinzipien sind viel wichtiger als Techniken. Prinzipien können auf unendliche Weise angewendet werden, aber Techniken sind sehr spezifisch und daher begrenzt. Bemühe dich, die Prinzipien der Kata vollständig zu verstehen und zu lernen, wie man in Übereinstimmung mit ihnen kämpft. Während dieses Verständnis zunächst auf intellektueller Ebene stattfindet, solltest du danach streben, diese Prinzipien in dein Unterbewusstsein zu integrieren. Indem man sich auf die Prinzipien und die verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten konzentriert, wird die Kata zu einem unerschöpflichen Angebot an Kampfwissen und man kann verstehen, warum die Meister von einst sagten, es würde mehr als ein Leben dauern, eine einzelne Kata vollständig zu verstehen.


13. Alle Anwendungen müssen in realen Situationen realisierbar sein.

Damit Bunkai (die Analyse) Sinn macht, muss alles auf reale Situationen anwendbar sein. Dafür wurde die Kata entwickelt, und das ist das, an dem wir arbeiten müssen. Nicht alle Karateka sind an der praktischen Seite der Kampfkunst interessiert. Einige üben die Kunst aus anderen sehr triftigen Gründen aus. Damit das Bunkai-Studium jedoch sinnvoll ist, musst du nach dem gleichen Muster wie die früheren Meister arbeiten und ein gutes Verständnis für die Umgebung haben, in der die Methoden der Kata entwickelt wurden, damit es funktioniert. Um Kata zu verstehen, muss das Training realistisch sein, und das Sparring sollte nicht auf den modernen Wettbewerbsregeln basieren, sondern stattdessen kata-basiert sein.


Das Bunkai ist kein Trainingsbereich nur für die wenigen Auserwählten, die die "Geheimnisse" für die Entschlüsselung besitzen. Bunkai ist etwas, das jeder Karate-ka lernen und üben kann. Die oben zusammengefassten Konzepte sollten dir genügend Informationen gegeben haben, um mit deinem persönlichen Studium dieses interessanten und äußerst wichtigen Teils des Karate beginnen zu können. 


Einige Beispiele: