Kata: Bunkai und Selbstverteidigung

Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass gut ausgebildete und besonnene Menschen es gewohnt sind, sich in Kämpfe einzumischen. Normalerweise lernen sie, Kämpfe zu vermeiden und suchen nicht nach ihnen. Dies ist auch die wichtigste Regel für die Selbstverteidigung: Der Kampf, der nicht begonnen hat, kann keinen Schaden anrichten. Deshalb sollte jeder, der sich mit Selbstverteidigung beschäftigt, lernen, wie man Kämpfe vermeidet, bevor er lernt, sie zu beenden. Dies sollte auch Teil unseres Kampfkunsttrainings sein, wenn wir Karate zum Selbstschutz/Selbstverteidigung nutzen wollen. 

Kata kann helfen, wenn du einer Eskalation gegenüberstehst. Sobald eine Konfrontation gewalttätig wird, wird es eine sehr chaotische Angelegenheit sein, aus der Verletzungen resultieren, die man unbedingt verhindern sollte. Wenn man unter "Beschuss" steht, funktionieren die Körperfunktionen in der Regel anders und das Adrenalin übernimmt. Es handelt sich nicht mehr um die friedliche und fast saubere Umgebung, die ein Kampfkünstler aus seinem Dojo kennt. Wenn man Kata so trainiert, wie sie entworfen wurde, dann kann sie dir helfen, ein Bewusstsein für solche Situationen zu schaffen bzw. zu entwickeln und uns einen Fluchtplan zur Verfügung stellen. Die Kata liefert Strategien, Taktiken und Techniken, um aggressive, untrainierte Gegner/Schläger zu disqualifizieren bzw. kampfunfähig zu machen. 

Um Kata so zu trainieren, muss man verstehen, dass echte Kämpfe kein Wettbewerb/Wettkampf sind. Es gibt keine gegenseitige Vereinbarung, den Kampf zu beginnen und zu beenden, der durch Regeln und einen Schiedsrichter erzwungen sowie geleitet wird. Echte Kämpfe enden nicht, wenn es schmerzhaft oder gefährlich wird. Die Distanzen sind völlig anders als im Wettkampf, bei dem man oft Angriffe unterbricht, um wieder in eine defensivere Haltung zurückzukehren. Außerdem wirst man in echten Kämpfen kaum Blöcke finden, weil sie einfach nicht funktionieren. Blöcke können aus der Ferne funktionieren, wenn ein Angriff vorhersehbar ist, aber nicht, wenn man überrascht ist oder der Angriff z.B. von hinten kommt. In echten Kämpfen wird die Distanz sehr schnell verkürzt und oft sehr schnell durch einen Schlag auf den Kopf beendet. In einem Kampf passierte es oft, dass der Angegriffene auf dem Boden landet, was sehr gefährlich für den Angegriffenen werden kann, besonders wenn der Angreifer nicht allein ist. 

Kata bietet eine Vorlage, wie man sich unter Angriff verhalten kann. Als eigenständiges Kampfsystem gibt sie dir eine Anleitung, mit welchen Techniken du Angriffe von untrainierten und gewalttätigen Gegnern angehen kannst. Kata wurde für den zivilen Selbstschutz entwickelt und nicht für den Kampf gegen ausgebildete und geschickte Krieger. Um die Vorteile von Kata zu nutzen, musst du die Anwendungen, der Techniken in der Kata, analysieren, verstehen, trainieren und drillen, um sie unter schlechten, unsicheren und unvorhersehbaren Umständen automatisch nutzen zu können. Deshalb muss man auch in Betracht ziehen, die Kampfkunst bzw. die Kata im Dojo mit "unbequemen" Partnern zu üben bzw. zu trainieren. Dieser Umstand wird dich lehren, dass nicht alles zu jeder Zeit mit jedem Gegner funktioniert und dass das, was schiefgehen kann, wahrscheinlich schiefgehen wird. Auch dann muss man bereit sein, zu reagieren und eine andere Lösung zu finden, um zu entkommen oder den Kampf zu beenden. Kata kann uns helfen, zwischen Alternativen zu wechseln, wenn man sie versteht und ihre Anwendungen entsprechend geschult hat. 

Allgemeine Kata-Grundsätze

Jede Kata arbeitet auf der Grundlage einiger gemeinsamer Prinzipien, die man verstehen muss, um sie effektiv und praktisch zu nutzen: 

1. Kata ist ein ganzheitliches Kampfsystem Jede Kata ist ein eigenständiges Selbstschutz- Selbstverteidigungssystem, das eine strategische Richtlinie, Taktiken und kämpferische technische Hilfsmittel enthält. Kata trainiert die Denkweise und die körperliche Fitness. Vor diesem Hintergrund ist es entscheidend, die Anwendungen und Kampfthemen rund um eine bestimmte Kata zu verstehen. 

2. Kata ist KampfJede Kata-Bewegung ist für den Einsatz im Kampf konzipiert. Kata muss in der Lage sein, eine Konfrontation sofort zu beenden. Deshalb ist eine Hebeltechnik oder ein Griff keine primäre Kampftechnik. Eine Kata muss mit Kampfgeist, voller Konzentration und mit höchster Präzision ausgeführt werden, um die Anwendungen im Kampf nutzen zu können.

3. Kata zeigt einen Weg durch das Chaos des Kampfes Realistische Anwendung der Kata bedeutet, einen Spielplan für den Kampf zu haben, der helfen kann, die chaotischen Umstände eines Kampfes zu überwinden. Es muss mit "unwilligen", "unkooperativen" Partnern trainiert werden, damit man eine reale Situation simulieren und damit arbeiten kann. Der Adrenalinschub kann deine Techniken ungenau und schwach machen. Auch kannst du leicht überrascht und gefangen sein, wenn du unter Adrenalin stehst, weil dein Bewusstsein und deine Wahrnehmung nicht normal funktionieren. Deshalb ist es besser, mit dem Adrenalinschub zu arbeiten und nicht gegen ihn.

4. Aktionen und Reaktionen werden nicht choreographiert Wenn du Kata in der oben beschriebenen Weise übst, kann keine der Kata-Techniken funktionieren, wenn du dich darauf verlässt, was der Gegner tut. Du musst die Kontrolle übernehmen, Dominanz schaffen und erhalten. Halte den Gegner beschäftigt. Versuche, vorhersehbare Reaktionen des Gegners durchzusetzen. Du solltest sie nach Möglichkeit ausnutzen und auch Präventivmaßnahmen in Betracht ziehen, um die Kontrolle über den Gegner und den Kampf so weit wie möglich zu erlangen. 

5. Kata-Techniken müssen effektiv und mit Wut durchgeführt werden"Strike to disrupt, disrupt to strike"[1], wie Kane und Wilder in ihrem Buch "The way of kata" behaupten. Schläge sollten auf anatomische Schwachstellen treffen.[2] Sie müssen mit voller Kraft, mit hoher Geschwindigkeit und mit hoher Präzision geübt werden. Nervenschläge sollten nicht um ihrer selbst willen versucht werden, sondern können einen zusätzlichen Nutzen bringen.  

6. Kata bietet eine Vielzahl von Techniken und Anwendungen Es kann mehr als eine effektive Anwendung für jede Kata-Bewegung geben. Maßnahmen in allen Bereichen müssen berücksichtigt werden. Alle Teile einer Bewegung haben eine Bedeutung und müssen untersucht werden, um zu verstehen, warum und wie sie funktionieren sollen. Haltungen und Winkel sind dabei wichtige Elemente. Eine Haltung ist eine Momentaufnahme einer Bewegung und zeigt, wie man Position und Gewicht ändert, um Anwendungen so effektiv wie möglich durchzuführen. Winkel in einer Kata zeigen, wo man in Bezug zum Gegner positioniert sein muss, damit die Anwendung funktioniert.


Zum Beispiel bedeuten Techniken nach hinten in der Regel, dass man bei der Ausführung hinter dem Gegner stehen sollte. Wenn eine Kata auf der Grundlage der obigen Prinzipien verstanden wird, musst du sie entsprechend trainieren, so dass du so viel wie möglich davon profitieren und sie zur Selbstverteidigung nutzen kannst. 


[1] Schlage um zu unterbrechen, unterbreche um zu schlagen.   

[2] Vitalpunkte (Jintai Kyusho); Angriffe auf Vitalpunkte, dienen lediglich zur Unterstützung der Technik bzw. um die Wirkung der Technik zu verstärken und sind niemals isoliert sowie als einzige Technik, die den Kampf beendet, anzuwenden.